Wüsste man nicht, dass wir im Frühjahr mit dem Corona-Crash binnen kürzester Zeit einen nie dagewesenen Einbruch erlebt haben, es ließe sich anhand der Zahlen nicht herauslesen. Inzwischen gibt es die ersten Impfstoffe und voraussichtlich kann in Kürze mit Impfungen auf globaler Ebene begonnen werden. Was das mit Blick auf das kommende Börsenjahr für Anleger und Märkte bedeutet.
„Corona-Krise – Anfang vom Ende oder einmalige Kaufchance?“ lautete der Titel unseres Reports vom April dieses Jahres. Blickt man nun mit Stand Ende November zurück, zeigt sich der deutsche Aktienindex DAX seit Jahresbeginn nahezu unverändert, scheint der europäische Index EuroStoxx50 mit rund -6% eine normale Korrektur durchlaufen zu haben, während sich amerikanische und chinesische Indizes 10 bis 15% nach oben entwickelt haben und der Technologieindex Nasdaq mit mehr als +35% sogar ein sehr positives Jahr hingelegt hat. Deutliche Minus-Zeichen gibt es bislang nur in Großbritannien, Spanien, Österreich und Russland.
Wüsste man nicht, dass wir im Frühjahr mit dem Corona-Crash einen noch nie dagewesenen Einbruch binnen kürzester Zeit erlebt haben, man könnte es anhand der Zahlen gar nicht herauslesen. Insofern war die Corona-Krise im Rückblick Stand heute tatsächlich eine „einmalige Kaufchance“. Inzwischen gibt es die ersten Impfstoffe und voraussichtlich kann binnen weniger Wochen mit Impfungen auf globaler Ebene begonnen werden. Somit scheint es möglich, dass die Corona-Krise in einem überschaubaren Zeitraum von der Börsen-Bildfläche verschwindet.
Aber: Dieser überschaubare Zeitraum scheint auch noch einmal eine sehr harte Zeit zu werden. Die Steigerungsrate der globalen Fallzahlen ist seit Monaten sehr stabil. Gegenwärtig überschreiten wir die Marke von 60 Millionen Fällen weltweit. Sollte sich dieser Trend nicht plötzlich ändern, werden wir bis zum Januar auch die Marke von 100 Millionen Infizierten erreichen. Und genau darin liegt das Problem der unmittelbar vor uns liegenden Wochen: Die Steigerungsrate mag abgeschwächt werden können, die schiere Masse an zu erwartenden Neuinfektionen wird aber trotzdem zu Überlastungen im Gesundheitswesen führen. So unschön Gesamtsituation und viele der Ungerechtigkeiten im konkreten Fall auch sein mögen, ist das Agieren der Politik in Deutschland in ihren Resultaten insgesamt als positiv zu werten.
Die wirtschaftlichen Folgen sind ungeachtet dessen massiv. Tatsächlich scheint im nächsten Jahr eine Pleitewelle auf uns zuzurollen – querbeet über die gesamte Wirtschaft. Außerdem stehen wir vor der Frage, wie die zusätzlich aufgenommenen Schuldenberge zurückzuzahlen sind. Diese Frage stellt sich in den meisten Ländern noch viel dringender als in Deutschland. Aber werden die Börsen deshalb ins Bodenlose stürzen wie viele noch immer befürchten? Wir vermuten recht eindeutig: Nein.
Zwar ist nicht auszuschließen, dass es auch bei einigen der größten deutschen Unternehmen zu deutlichen „Anpassungen“ (also Entlassungen, Betriebsstillegungen oder sogar Pleiten) kommen wird und dass die Aktienkurse dieser Unternehmen einbrechen werden. Aber insgesamt erscheint die Wirtschaft stark genug, um das auf Sicht einiger Monate oder weniger Jahre wieder vollends auszugleichen. In Summe gehen wir daher nicht davon aus, dass die Börsen massiven Schaden erleiden werden. Die Gründe für diese Sichtweise möchten wir nachfolgend näher erläutern. Tatsächlich gibt es ja noch andere Themen als das Corona-Virus.
Donald Trump ist abgewählt. Zu dieser Einsicht scheint inzwischen auch er selbst gekommen zu sein. Ob er trotzdem weiter versuchen wird, die Gesellschaft zu spalten oder sich doch dazu entscheidet, lieber Golfen zu gehen, bleibt abzuwarten. Mit dem Isolationismus Trumps dürfte auch der Rückzug der USA als militärische Führungsmacht Geschichte sein. Der neue Präsident Joe Biden hat hier bereits eine andere Gangart angekündigt. Was auch immer das konkret heißen mag, dürften die USA künftig insgesamt wieder vermehrt für militärisches Eingreifen stehen.
Zugleich wird die Biden-Administration mehr für die internationale Zusammenarbeit und planbareres Agieren leisten. Zwar ist keine grundsätzliche Kehrtwende in der China-Politik zu erwarten, aber auch hier dürfte die internationale Kommunikation versöhnlicher werden. Planbarkeit und Verlässlichkeit – zwei Eigenschaften, die für die Börsen grundsätzlich positiv sind. Die angekündigten Steuererhöhungen wird Biden aufgrund der Konstellation des Wahlergebnisses wohl nicht in der beabsichtigten Form durchbringen können. Unterm Strich sollte sich der Machtwechsel in den USA daher nicht sonderlich negativ auf die mittelfristigen Börsenaussichten auswirken.
Die Wirtschaft in China und vielen anderen asiatischen Ländern läuft bereits wieder auf Hochtouren. Obwohl noch nicht gänzlich ausgelöscht, scheint Corona im Reich der Mitte doch weitestgehend unter Kontrolle. Gleiches gilt für viele andere Regionen in Asien. Mit dem Impfstoff in Sichtweite wird das Virus diesen Teil der Welt wohl nicht mehr wirtschaftlich erschüttern können. Der zentrale globale Wirtschaftsmotor läuft also. Vor Kurzem wurde in Asien zudem ein enormes Freihandelsabkommen unterzeichnet. Zwar muss es erstmal von den beteiligten Ländern ratifiziert werden und einige Experten schätzen die positiven Auswirkungen dieses Abkommens als weitaus geringer ein, als es zunächst den Anschein macht. Grundsätzlich dürfte dieses Freihandelsabkommen aber positiv wirken.
Die Zinsen in Europa sind bei Null oder sogar leicht darunter. Das ist soweit nichts Neues – diese Situation kennen wir seit Jahren. Was aber in dieser Form völlig neu ist, ist die Tatsache, dass die US-amerikanischen Zinsen quer über alle Laufzeiten im Einklang ebenfalls auf Null oder nur knapp über Null gesunken sind (siehe folgende Abbildung, für eine größere Darstellung bitte hier klicken)
copyright Tobias Kunkel, IS&R GmbH
Den meisten Anlegern dürften die langfristigen Auswirkungen des massiven Zinseinbruchs unklar sein oder sogar suspekt vorkommen. Vom Hochpunkt im Jahr 2018 haben sich die Zinssätze gedrittelt bis gezehntelt. Für viele institutionelle Investoren heißt das nichts anderes, als dass andere Asset-Klassen wie etwa Aktien oder Immobilien – sofern deren Erträge konstant bleiben – sich im Preis verdreifachen oder sogar verzehnfachen können, ohne dass eine rechnerische, relative Überbewertung vorliegt. Solange die US-Zinsen nicht einen massiven Aufwärtsschub absolvieren, sollte das weiter zu kräftigen Zuflüssen in die Aktienmärkte führen.
Massive staatliche Eingriffe und Subventionen, ein Virus, das bald unter Kontrolle zu sein scheint, gepaart mit positiveren, internationalen Beziehungen und Umgangsformen, ein wirtschaftlich wiedererstarktes Asien und on top noch ein jetzt quasi global auf 0 gestellte Zinsumfeld – all das scheint in Summe das Potential für ein „globales Wirtschaftswunder“ zu haben. Dies dürfte durch die schon fast traumhaften Bedingungen zu deutlich positiven Aktienkursentwicklungen führen. Als Kehrseite der Medaille sollte jedoch bald auch ein deutlicher Inflationsdruck spürbar sein, wenn alles so zusammenkommt, wie es jetzt scheint. Dieser dürfte tatsächlich auch für Gefahren sorgen, allerdings noch nicht unmittelbar, sondern frühestens für den Zeitraum ab dem dritten Quartal 2021 oder gar erst ab 2022. Ebenso sollte man nicht das Risiko steigender Marktzinsen vernachlässigen, das sich aus steigenden Inflationszahlen ergibt und der Party einen Dämpfer verpassen dürfte. Noch weiter in die Zukunft gedacht ist es auch möglich, dass diese Gemengelage sogar an einen Punkt führt, an dem die finanzielle Schuldentragfähigkeit von Staaten erneut als großes Thema auf den Tisch kommen wird. Bis dahin sollte aber noch etwas Zeit sein und wer sich aufgrund dieser Argumente von den Märkten fernhält, dürfte lange Zeit steigenden Kursen hinterherlaufen – was diese zunächst noch weiter befeuern dürfte.
Ansonsten bleibt nur der Verweis auf die „üblichen Gefahren“, wie Geopolitik, Naturkatastrophen, neue Viren, Terror, Meteoriteneinschläge und die allgemeine Gefahr des Weltuntergangs, den sich viele Propheten ja so sehnlich herbeizuwünschen scheinen.
Der Weg wird zwar in den unmittelbar vor uns liegenden Wochen durch Corona und auch danach durch überraschend negative Meldungen einzelner, großer Unternehmen sicherlich holprig werden, die Tendenz aber erscheint eindeutig: Wägt man Für und Wider gegeneinander ab, stehen im Moment alle Börsenampeln auf Grün.
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